EN  |  Über uns | Presse

Freiwilligenarbeit im Waisenhaus: warum wir keine Waisenhaus-Projekte haben

Freiwillige im Waisenhaus in Afrika

Foto Dylan Walters unter Lizenz CC by 2.0

Wer Freiwilligenarbeit mit Waisen macht, riskiert den betreuten Kindern eher zu schaden als zu nutzen. Deswegen haben wir uns entschlossen, keine Waisenhaus-Projekte auf wegweiser-freiwilligenarbeit.com aufzunehmen. Stattdessen machen wir andere Formen des Volunteering mit Kindern bekannt und klären über die Schwierigkeiten auf. Denn in einigen Ländern besteht sogar die Gefahr, indirekt den Kinder-Handel zu fördern.

Waisen häufig Brennpunkt von Volunteer-Wünschen

Wie keine andere Bevölkerungs-Gruppe kristallisieren Waisen in Afrika, Asien und Lateinamerika den Wunsch, bedürftigen Personen zu helfen. Da sie nicht nur in Entwicklungsländern leben und als Kinder besonders schutzbedürftig sind, sondern zudem auch der Liebe ihrer leiblichen Eltern beraubt sind, scheinen sie vielen Personen das ideale Ziel ihres Engagements. „Ich möchte irgendwo mit Waisen arbeiten. Denn die haben es besonders nötig.“ hören alle Freiwilligen-Organisationen regelmäßig. Meist ist es jedoch sinnvoller, andere Freiwilligen-Projekte mit Kindern im Ausland zu wählen und die Betreuung von Waisen qualifizierten, festen Mitarbeitern in geeigneten Einrichtungen zu überlassen.

Gefahr von Verhaltens-Störungen durch Kurzzeit-Beziehungen

Ein grundlegendes Problem beim Umgang mit Waisen ist, dass diese Kinder häufig keine festen Bezugspersonen in ihrem Leben haben und es ihnen an Zuneigung fehlt. In dieser Situation ist für sie die Versuchung groß, ihr Bedürfnis nach Liebe auf Ersatz-Personen zu übertragen, selbst wenn diese nur für kurze Zeit in ihrem Umfeld auftauchen: Freiwillige z. B., die für ein paar Wochen oder Monate in ihrem Heim ehrenamtlich helfen.

Abschied aus dem Waisenhaus

Der Abschied von den Waisen kann tiefe Spuren hinterlassen
Foto Ryanne Lai unter Lizenz CC by 2.0

Wenn die Volunteers von ihrer Entsende-Organisation und dem aufnehmenden Projekt nicht ausreichend über die Zusammenhänge aufgeklärt werden und deshalb vielleicht sogar aktiv die Bindung verstärken, ist das Risiko besonders groß, dass der unweigerliche Abschied der Freiwilligen zu einem traumatischen Erlebnis wird. Verhaltensstörungen im Beziehungs-Aufbau mit anderen Menschen können die Folge sein, die das betroffene Kind sein Leben lang belasten. Nur die wenigsten Volunteers haben die notwendige Ausbildung, um diese Gefahr zu minimieren.

Die Problematik des wiederholten Lösens von aufgebauten Beziehungen besteht auch mit Freiwilligen, die 12 Monate während eines Freiwilligendienstes wie weltwärts oder IJFD mit Waisen arbeiten, und sogar mit festangestellten Mitarbeitern, die ebenfalls wechseln können. Deswegen wird es ohnehin immer mehr zum allgemeinen Konsens, dass Waisen nur als letzte Alternative in Heimen untergebracht werden sollen. Nach weit verbreiteter Meinung ist ein Aufwachsen z. B. im erweiterten Familienverband oder in Pflegefamilien erheblich sinnvoller. Einige Länder, wie z. B. Ruanda, sind bereits dabei ihr Wohlfahrts-System dementsprechend umzustellen.

Waisenhäuser mancherorts Teil des Problems, nicht der Lösung

Trotzdem gibt es noch personell unterbesetzte Waisenhäuser mit engagierten Mitarbeitern, denen die Nachteile ihrer Institution bewusst sind, die die Kinder aber trotzdem nicht auf die Straße setzen können, da es an Alternativen in ausreichender Zahl mangelt. Warum also nicht diese Strukturen als verantwortungsbewusste Partner behandeln und ihnen die Abwägung der Vor- und Nachteile der Arbeit mit mitteleuropäischen Freiwilligen überlassen?

Leider ist die Grundannahme, dass die Betreiber von Waisenhäusern vor allem die Interessen der Kinder im Sinn haben, in einer wachsenden Zahl von Regionen nicht mehr gerechtfertigt. Beispiel Kambodscha in Südost-Asien: Laut einer von UNICEF mitverantworteten Untersuchung haben 3 von 4 Kindern in als Waisenhäuser bezeichneten Einrichtungen des Landes zumindest einen lebenden Elternteil, die Zahl der Waisenhäuser hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. Ähnliche Berichte gibt es z. B. auch aus Nepal und Uganda (Ost-Afrika).

Dafür verantwortlich sind häufig Geschäftemacher, die aus Gewinnstreben Pflege-Institutionen eröffnen und mit den Kindern mittelloser Familien aus meist ländlichen Regionen bevölkern. Die leiblichen Eltern werden mit Versprechungen über bessere Ausbildung und Versorgung gefügig gemacht. Die Betreiber sind aber vor allem an ihrem eigenen Geldbeutel interessiert, den sie entweder mit direkten Spenden füllen oder mit den Zuschüssen, die Entsende-Organisationen für die Anwesenheit westlicher Freiwilliger zahlen. Manchmal sind auch religiöse Extremisten am Werk. Selbst verantwortungsbewussten Organisationen gelingt es nicht immer, bei ihren lokalen Projekt-Partnern die Spreu vom Weizen zu trennen, da auch eine offizielle Registrierung wegen Korruption und unzureichenden Kontrollen häufig keine Garantie darstellt.

Das gilt übrigens auch für die anderen Einnahme-Quellen der Waisenhäuser und Kinderheime:

  • direkte Spenden, auch von gut meinenden, karitativen Organisationen oder Kirchengemeinden, die ähnlich wie Freiwilligen-Organisationen von den Betreibern hinters Licht geführt werden
  • der Besuch von Aufführungen im Waisenhaus
  • der Kauf von Handwerks-Kunst und anderen Gegenständen, die von den Kindern hergestellt wurden

Wir raten generell, nicht den Mythos „Waisenhaus“ , sondern die Initiativen zu unterstützen, die sich für den Verbleib der Kinder im erweiterten Familienverband oder in Pflege-Familien einsetzen.

Eine Studie des Amtes für öffentliche Wohlfahrt in Ghana aus dem Jahr 2009 geht sogar davon aus, dass 90% der Kinder in den „Waisenhäusern“ dieses Landes in West-Afrika technisch keine Waisen sind. In Ghana kommt noch ein anderes Phänomen hinzu, das der Autor David Rössler in einem Buch beschreibt: Teilzeit-Waisenhäuser in armen, ländlichen Gemeinden werden nur dann mit Kindern besetzt, wenn es westliche Freiwillige gibt, die der Dorfgemeinschaft Einnahmen bescheren. Nach deren Abreise kehren die Pseudo-Waisen wieder in ihre Familien zurück, die im selben Ort leben. Zwar gibt es in solchen Fällen nicht dieselben zuvor beschriebenen Bindungs-Probleme und die Teilnahmebeiträge wandern nicht in die Taschen von Kinderhändlern, aber trotzdem wird das Vorhaben der Volunteers zu Helfen hier pervertiert und ausgenützt.

So trägt der Wunsch besonders bedürftigen Kindern zu helfen perverserweise sogar dazu bei, die Not zu steigern, da sich Pseudo-Waisenhäuser den Freiwilligen-Organisationen als Projekt-Partner für eine steigende Zahl von Freiwilligen anbieten. Glücklicherweise gibt es Alternativen für alle, die sinnvolle Freiwilligenarbeit mit Kindern machen wollen.

Keine Waisenhaus-Projekte, aber viele andere Formen des Engagements im Ausland mit Kindern

Freiwillige bei Unterricht in Thailand

Unterrichten als Alternative zu Freiwilligenarbeit in Waisenhäusern

Es gibt Freiwilligen-Projekte mit Waisen, die mit dem gebotenen Sinn für Verantwortung vorgehen und in denen freiwillige Helfer sinnvolle Arbeit leisten können. Für wegweiser-freiwilligenarbeit.com als unabhängiges Portal ist es jedoch derzeit nicht möglich, die Projekte unserer Partner-Organisationen zu kontrollieren.

Um die Nachfrage nicht weiter anzuheizen, haben wir uns deshalb entschlossen, bis auf weiteres keine Beschreibungen von Freiwilligen-Einsätzen aufzunehmen, die in Waisenhäusern stattfinden. Darüber hinaus ist unser Gründer Frank Seidel aktives Mitglied des Better Volunteering Better Care-Netzwerkes.

Wenn es trotzdem dein Wunsch ist, während deines Auslands-Aufenthaltes oder deines Freiwilligendienstes mit Kindern zu arbeiten, gibt es eine Fülle anderer Möglichkeiten.

Auch Kinder mit Eltern oder anderen festen Bezugspersonen brauchen Unterstützung:

Wir sind davon überzeugt, dass gut organisierte Freiwilligenarbeit allen Beteiligten Vorteile bietet: den lokalen Projekt-Partnern und den betreuten Kindern, den Freiwilligen selbst und auch der Gesellschaft allgemein, da flexible Freiwilligenarbeit einen wichtigen Beitrag zur entwicklungspolitischen Bildung darstellt. Also nur zu, mach flexible Freiwilligenarbeit!

Foto mit freundlicher Genehmigung von Africa & Asia Venture.

Erzählen Sie Ihren Freunden von "Freiwilligenarbeit im Waisenhaus: warum wir keine Waisenhaus-Projekte haben" :

Frank Seidel

Frank Seidel ist der Gründer von www.wegweiser-freiwilligenarbeit.com, dem unabhängigen Portal für flexible und sinnvolle Freiwilligenarbeit im Ausland. Seit er 1991 selbst ein Praktikum in einem Naturschutzgebiet in Südfrankreich machte, beschäftigt er sich mit freiwilligem Engagement weit ab der Heimat, in der Vergangenheit auch als Autor des Buches "Jobben für Natur und Umwelt" oder als Marketing-Direktor einer weltweit agierenden Freiwilligenorganisation.

3 Kommentare

Join the conversation
  1. 23.10.2014
    Super! Endlich mal ein Blog-Beitrag der sagt was Sache ist. Nach knapp drei Jahren in Kambodscha ist fuer mich klar, dass die Waisenhaeuser, die hier wie Pilze aus dem Boden spriessen, nichts weiter als Geldmaschinen der Eigentuemer sind.Die Eltern stellen den Waisenhaeusern die Kinder zur Verfuegung, und erhalten ein monaliches "Gehalt" dafuer. Die Eigentuemer erstellen Websites mit Spendenaufrufen, und Angeboten zur Freiwilligenarbeit. Je schaebiger das Waisenhaus aussieht, und je schlimmer die Verhaeltnisse sind, unter denen die Kinder leben muessen, desto mehr "Einkommen" wird natuerlich generiert. Ein widerliches Verhalten...Ein paar wenige Organisationen arbeiten hart, um die Kinder in ihre Doerfer zurueck zu fuehren, und wieder in die Gemeinschaft zu einzugliedern. Meines Erachtens ist das die einzige sinnvolle Art, den "Waisen"kindern (die gar keine sind) zu helfen.Fuer echte Waisenkinder hilft eine Spende an bekannte Organisationen wie World Vision oder SOS Kinderdoerfer, bloss an keine privat gefuehrten Einrichtungen. Von Freiwilligen-Einsaetzen wuerde ich genau wie der Autor komplett abraten. Antwort
    • 06.05.2016
      @Jan Leider sind auch Spenden an Waisenhäuser keine gute Idee, wie z. B. dieses Video "Don't create more orphans" zeigt. Waisenhäuser sind teurer als andere Konzepte der Kindes-Betreuung und hinterlassen auch im besten Fall negative Spuren bei der Entwicklung des Kindes. Wir raten von jeglicher Form der Unterstützung des Konzeptes "Waisenhaus" ab: nicht dort Freiwilligenarbeit machen, nicht spenden, an keinen Veranstaltungen im Waisenhaus teilnehmen, keine Souvenirs kaufen, die von Waisen hergestellt werden. Stattdessen raten wir Initiativen und Organisationen zu unterstützen, die Kinder in Familien-Verbänden halten oder dort hin zurück bringen. Antwort
  2. 04.05.2016
    Ich lebe seit 4 Jahren auf dem Land Bei Prey Veng und denke das da einiges zu tun ist. Die Kinder brauchen Hilfe. Bin da jeden Tag mit der Armut konfrontiert. Das fängt an das die Familien unterstützt werden mit Hilfskrediten bei Krankheit bei Ernte mit Kleinkrediten für Anschaffungen für Maschinen zur Reisernte. Kleinkredite zum Dieselkauf für die Bewässerung der Reisfelder ( wo oft Gelder mit Wucherzinsen verliehen werden 4% für ein Monat sind 44% im Jahr ) bei Banken gibt es nur mit Grundstücke auf drehen sie auch wohnen Kredite. Da sind die Zinsen auch noch 2,5 % im Monat bei bis zu 4000 $ drüber dann 1,8 % . Wichtig wäre Schulgeld bereitzustellen von 500- 1000 Riel am Tag und auch kostenlose Kurse mit englisch Lehrer was Ca. 15 $ im Monat kosten damit wäre schon einiges getan. Wie auch Reissäcke 50 Kilo ( 20$ ) langt Ca. 1 Monat bei ärmeren Kindern und Familien auch älteren Menschen während der Anbauzeit bereitzustellen bis zur Ernte ohne Gewinn. Das ist nur ein Teil wie man sofort helfen könnte dem Kindergeschäft Einhalt zu gebieten auch Aufklärung über Arbeitsvermittlung Agenturen die erstmal 1 Millionen Riel 250$ für einen Reisepass und Bearbeitungsgebühren verlangen ohne das die Personen für auslandseinsätze Qualifiziert sind. Da gibt es viel zu tun das ist nur ein kleiner Teil was ich sehe wie man helfen kann, Das Helfen Vorort ist unkompliziert da man die Menschen kennt und weiß wer nichts hat. Man kann das auch nicht so einfach mit dem Westlichen Standarts ausführen da der Stolz und die Traditionen und der Gesichtverlust bei den Khmers nicht unterschätzt werden darf und berücksichtigt werden müssen um auch erfolgreich zu machen. Andreas Antwort

Kommentar verfassen